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Buchvorstellung „Guten Morgen, Herr Lehrer“

Liebe Flaneure,

Lesen macht klug – und wo bekam man es früher beigebracht? Im Zweifel in der Dorfschule! Zu diesem Thema haben wir hier eine tolle Buchvorstellung für Sie – inklusive Leseprobe 🙂 Immer wieder tolle Literaturtipps finden Sie natürlich auch in der aktuellen Ausgabe des Vintage Flaneurs.

Darum geht es in dem Buch
Wer auf dem Land groß geworden ist, kennt sie noch, die einklassige Dorfschule, in der die Schüler aller Altersgruppen gemeinsam in einem Raum unterrichtet wurden. Die Lehrer Siegfried Kirchner, Manfred Wenderoth und Egon Busch begannen Anfang der 1960er Jahre in solchen Dorfschulen ihre Laufbahn. Heiter, witzig, oft auch skurril sind die Anekdoten und Geschichten aus dieser Zeit, als der Herr Lehrer neben dem Bürgermeister und dem Pastor noch zu den hochgeachteten Persönlichkeiten im Dorf zählte.
Die Drei Lehrer erzählen im Buch von ausgefallenen, oft lustigen oder kuriosen Begebenheiten aus dem Klassenzimmer und dem Dorfalltag, von Wanderungen und Festen und von Klassenfahrten der „Landeier“ in Großstädte. Immer wieder müssen die jungen Lehrer dabei unvorhersehbare Situationen meistern.

Es sind herrlich unterhaltsame Schulgeschichten, die bei Ihnen Erinnerungen an ähnliche Episoden aus der eigenen Schulzeit wecken werden. Lesen Sie weiter unten einen kleinen Auszug!


Kirchner, Wenderoth, Busch
Guten Morgen, Herr Lehrer
Drei Dorfschullehrer erzählen. 1959-2002.
Unterhaltsame und heitere Erinnerungen an die einklassige Dorfschule.
256 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister,
Zeitgut Verlag, Berlin.
Klappenbroschur
ISBN 978-3-86614-225-1
Euro 10,90


 

[Bayrischer Wald, Mittelfranken; Ende 1940er/50er Jahre]
Siegfried Kirchner
Der Birnbaumpädagoge
Neben meinen eigenen Erlebnissen möchte ich an dieser Stelle von Erlebnissen anderer Kollegen erzählen, die mir im Verlauf meiner langjährigen Tätigkeit zu Ohren gekommen sind.
Jeder Lehrer erlebt in seiner Laufbahn nicht nur angenehme Unterrichtstage, die gut verlaufen, nein, es gibt für ihn auch solche, an denen er sich ärgern muss und an die
er sich aus irgendeinem Grund nicht gern erinnert. Was allerdings vor vielen Jahren einmal einem Pädagogen an einer ungeteilten Landschule im südlichen Mittelfranken passiert ist, war wohl nicht nur äußerst merkwürdig, sondern wahrscheinlich auch einmalig:
An einem schönen Septembertag stand der Lehrer wie immer vor den ihm anvertrauten Kindern im Klassenzimmer und mühte sich redlich, ihnen etwas Rechtes beizubringen.
Alles verlief zu seiner Zufriedenheit. Als er nach einiger Zeit den Schülern schriftliche Aufgaben erteilt hatte und alle beschäftigt waren, fiel sein Blick durchs Fenster auf den Birnbaum, der draußen im Garten stand. Die milde Herbstsonne blinzelte durch das Geäst, das schwer zu tragen hatte an zahllosen gelben reifen Früchten, die nur darauf zu warten schienen, dass sie geerntet werden. Weiß der Kuckuck, welcher Teufel den Lehrer damals ritt, es zog ihn jedenfalls bei diesem Anblick mit unwiderstehlicher Gewalt hinaus ins Freie. So ging er, wohlversorgt mit Korb und Leiter, in den Garten und begann unverzüglich mit der Obsternte. Nicht, dass er seine Schulkinder dabei vergessen hätte; als gewissenhafter Erzieher gab er durch die geöffneten Fenster des Klassenzimmers seine Anweisungen und forderte die Schülerinnen und Schüler auf, sich ruhig zu verhalten und fleißig weiter zu arbeiten. Irgendwie war er sogar ein wenig stolz darauf, was er alles gleichzeitig fertigbrachte: Obst ernten, dabei Kinder unterrichten und obendrein eine von den süßen Birnen verspeisen – das können die wenigsten!
Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Das Unglück schreitet bekanntlich schnell, in diesem Falle kam es anmarschiert in der Person des Schulrate, der ausgerechnet an diesem Tag den Unterricht des Lehrers inspizieren wollte.
Als der das Klassenzimmer betrat, sah er zwar viele Kinder, die ihren schulischen Pflichten nachkamen, aber keinen Lehrer. Nach entsprechenden Hinweisen der Schüler eilte er in den Garten und ging zielstrebig auf den Baum zu, in dessen Krone noch immer ahnungslos der birnenpflückende Schulmeister hockte. Als der den Schulrat erblickte, war er, starr vor Schreck, weder zu einer Bewegung, noch zu einem Wort fähig. Am liebsten hätte er sich hinter einem dicken Ast versteckt, wenn das nur möglich gewesen wäre. Schließlich musste er sich aber doch aus seiner Schreckstarre lösen, denn der Schulrat forderte ihn auf, sofort herunterzukommen. Nachdem dies geschehen war, begaben sich die Herren ins Schulzimmer.

Gab es ein ernstes Gespräch unter vier Augen?
Wurden disziplinarische Maßnahmen ergriffen?
Ersteres ist anzunehmen, von letzterem wurde nichts bekannt. Der ertappte Sünder arbeitete offenbar sonst zur Zufriedenheit seines Vorgesetzten. Es ist zu vermuten, dass der Schulrat das Fehlverhalten des Pädagogen als einmaligen „Ausrutscher“ betrachtete.
Im Dorf aber verbreitete sich die Nachricht von diesem Ereignis wie ein Lauffeuer. Schlimmer war, dass auch ein Kollege davon erfuhr, und wenn es einer weiß, dann wissen es meistens bald alle. Man kann sich vorstellen, mit wieviel Spott und Häme der Pädagoge bei der nächsten Lehrerkonferenzbegrüßt wurde. Unter der Schadenfreude hatte er noch längere Zeit zu leiden. Schließlich gab es jedoch wieder andere Neuigkeiten und die  Hänseleien der Kollegen ließen nach.  Den Spitznamen aber, den der bei der Obsternte Ertappte damals erhielt, wurde er nie mehr los, und so blieb er bis ans Ende seiner Tage „der Birnbaumpädagoge“